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Freitag, 03 Juli 2015 15:04

Schiedsverfahren in Indien: Neue Hindernisse durch die Entscheidung "Western Geco" (3/07/2015)

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Der Supreme Court of India hat mit dem Urteil Oil and Natural Gas Corporation Limited v. Western Geco International Limited (2014 (10) SCALE 328) – sog. Western Geco-Entscheidung – mehr Möglichkeiten geschaffen, einen inländischen Schiedsspruch gerichtlich überprüfen und aufheben zu lassen. Dies schwächt die Attraktivität, in deutsch-indischen Rechtsstreitigkeiten ein Schiedsverfahren durchzuführen.

Worum ging es?

In einem Schiedsverfahren ging es um einen pauschalisierten Schadensersatz von GECO an ONCG wegen der Nichtlieferung von bestimmten Waren. In dem Schiedsverfahren erging ein Schiedsurteil. ONCG versuchte gemäß Sec. 34 des Arbitration Act, diesen Schiedsspruch inhaltlich vor den staatlichen Zivilgerichten in Indien überprüfen und aufheben zu lassen. Denn nach Sec. 34 Abs. 2 (b) (ii) des Arbitration Act kann ein Schiedsspruch aufgehoben werden, wenn dieser gegen die „public policy of India“ verstößt.

Was hat das Gericht entschieden?

Der Supreme Court of India hat die Gründe, die unter „public policy“ fallen können, mit der Western Geco-Entscheidung präzisiert und erweitert. Danach seien unter „public policy“ insbesondere die „fundamentalen Grundsätze des indischen Rechts“ erfasst, worunter drei Grundsätze fallen würden:

  • Judicial approach: Kein Gericht dürfe willkürlich, unvorhersehbar oder absonderlich urteilen. Das Gericht müsste fair, vernünftig und objektiv urteilen und dürfte seine Entscheidung nicht auf irrelevante Aspekte stützen.
  • Principles of Natural Justice: Jede Partei sei ausreichend rechtliches Gehör zu verschaffen. Das Gericht müsste alle Umstände des Falles berücksichtigen und prüfen.
  • Wednesbury’s principle of reasonableness: Urteile müssten einer grundsätzlichen Plausibilitätsprüfung standhalten.

Im vorliegenden Fall bestätige der Supreme Court of India die Ansicht des Berufungsgerichts, dass das Schiedsurteil „irrational“ und damit aufzuheben sei.

Folgen für die Praxis:

Das Urteil ist ein schwerer Rückschlag für die indische Schiedsgerichtsbarkeit. In früheren Entscheidungen hatte der Supreme Court of India noch betont, dass ein Schiedsspruch nur unter sehr engen Voraussetzungen aufgehoben werden könne. Diese restriktive Rechtsprechung will der Supreme Court nun offenbar nicht weiterverfolgen. So hat der Supreme Court bereits in der Entscheidung ONGC Ltd. v. Saw Pipes Ltd. (AIR 2003 SC 2629) – sog. Saw Pipes-Entscheidung – die Gründe, die unter “public policy” fallen können, erweitert. Nach der Saw Pipes-Entscheidung würde unter “public policy” fallen:

  • die fundamentalen Grundsätze des indischen Rechts („fundmental principles of Indian law“)
  • die Interessen von Indien („interest of India“)
  • Gerechtigkeit und Moral („justice or morality“) und
  • offensichtliche Rechtswidrigkeit („patently illegal“)

Mit der vorliegenden Entscheidung bestätige der Supreme Court of India die Saw Pipes-Entscheidung und zeigt in einer nicht abschließenden Aufzählung auf, was unter „fundmental principles of Indian law“ zu verstehen sei.

Es wird wohl in der Praxis zu erwarten sein, dass die unterlegene Partei in einem Schiedsverfahren nun regelmäßig versuchen wird, das Schiedsurteil mit Hilfe der unbestimmten Begriffe „public policy“ bzw. „fundmental principles of Indian law“ von einem indischen Zivilgericht wieder aufheben zu lassen. Dies läuft dem Sinn und Zweck eines Schiedsverfahrens zuwider, womit gerade eine – losgelöst von den staatlichen Gerichten – schnelle Entscheidung unter Ausschluss der Öffentlichkeit erlangt werden soll. Dies ist in Indien besonders wichtig, da die Dauer von Gerichtsverfahren in Indien sehr lang sein kann, zum Teil bis zu 15 – 20 Jahre. Wenn ein – in der Regel kostspielig – erwirktes Schiedsurteil in langwierigen staatlichen Gerichtsprozessen wieder überprüft und aufgehoben werden kann, schwächt dies die Attraktivität eines Schiedsverfahrens.

Hervorzuheben ist allerdings, dass diese Rechtsprechung nicht unmittelbar auf außerhalb von Indien stattgefundene internationale Schiedsverfahren anwendbar ist. Denn Sec. 34 Abs. 2 (b) (ii) des Arbitration Act ist nach mittlerweile gesicherter Rechtsprechung nur auf „domestic awards“, d.h. inländische Schiedssprüche anwendbar. Die damals noch gegenteilige Auffassung des Supreme Courts in den Entscheidung Bhatia und Venture Global wurde in der Balco- und Lal Mahal-Entscheidung revidiert. Im Falle von ausländischen Schiedsurteilen (foreign awards) sind die Angriffs- und Aufhebungsmöglichkeiten damit weitaus geringer.

Es ist zwar bislang noch nicht abzusehen, welche Auswirkungen die Western Geco-Entscheidung auf die Durchsetzung ausländischer Schiedssprüche haben wird. Für die Praxis im deutsch-indischen Wirtschaftsverkehr kann aber schon jetzt festgehalten werden, dass bereits bei der Formulierung der Schiedsklausel in den anfänglichen Verträgen besonders darauf zu achten ist, dass ein internationales Schiedsverfahren mit der Kompetenz zum Erlass eines ausländischen Schiedsurteils im Sinne des Arbitration und Conciliation Act vereinbart wird. Anderenfalls kann eine Schiedsklausel gerade einen gegenteiligen Effekt haben, d.h. zu einer erheblichen Verzögerung von Rechtsstreitigkeiten führen, weil nämlich erst ein (kostspieliges) Schiedsverfahren und sodann ein langwieriges staatliches Aufhebungsverfahren überstanden werden muss. Kann in den Vertragsverhandlungen kein solches „internationales Schiedsverfahren“ in der Schiedsklausel durchgesetzt werden, sollte genau abgewogen werden, ob eine Schiedsklausel überhaupt sinnvoll ist.

Gelesen 4381 mal Letzte Änderung am Samstag, 25 August 2018 13:16
Dr. Oliver S. Hartmann

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